Neue Informationsformen zur besseren Bewältigung der komplexen Herausforderungen unserer Zeit
Viele von uns wollen die Welt zum Besseren verändern. Oder wir wollen zumindest verhindern, dass es schlimmer wird. Sei es in einer Organisation oder in unserer Gesellschaft. Wir leben in einer Welt, in der sich fast alles, was wir tun, um unsere Bedürfnisse zu erfüllen und unsere Träume zu verwirklichen, negativ auf unsere Umwelt auswirkt. Wie können wir mehr Teil der Lösung und weniger Teil des Problems werden?
Gegenwärtig gehört es zum guten Ton, sich individuell darum zu bemühen, den eigenen Lebensstil zu ändern, um den CO2-Ausstoß zu senken, Verschwendung zu bekämpfen und die Umwelt zu schonen. Nicht fliegen, weniger Fleisch essen, «Zero Waste» kaufen, zu grüner Energie wechseln usw. Eigene Maßnahmen ergreifen, ist die Devise. Das sind alles gute Absichten. Das ist es, was ich jahrelang tat – und ich glaubte wirklich daran, mein Bestes zu geben. Was ich tat, war vor allem Symptombekämpfung. Gut – und dennoch nicht genug.
Was wir wirklich brauchen, ist systemischer Wandel und ein neues Bewusstsein. Und damit meine ich nicht, Politiker oder Wirtschaftsführer anzuprangern. Sie sind auch Teil dieses Systems. Wie wir alle. Sie haben gute Gründe für das, was sie tun und woran sie glauben. Wie wir alle.
Wie können wir also ein System von innen verändern? Wir sollten anfangen, es von innen heraus «transkontextuell» zu betrachten und uns nicht ausschliesslich darauf konzentrieren, es durch «objektive», quantitative Analysen verstehen zu wollen. Spätestens seit den Erkenntnissen aus der Quantenphysik wissen wir, dass die Beobachterin das beobachtete System verändert.
«Warm Data sind Informationen über die Zusammenhänge, welche die Elemente eines komplexen Systems integrieren»
Nora Bateson (1) hat den Begriff «Warm Data» für die zusätzlichen qualitativen Daten geprägt, die wir benötigen. «Warm Data sind Informationen über die Zusammenhänge, welche die Elemente eines komplexen Systems integrieren. Sie haben die qualitative Dynamik gefunden und bieten eine weitere Dimension des Verstehens dessen, was wir aus quantitativen Daten (kalte Daten) lernen. Mit Warm Data können wir unsere Analyse anderer Informationsströme nutzen. Die Auswirkungen der Verwendung warmer Daten sind erstaunlich und können den Instrumenten der Informationswissenschaft, mit denen wir derzeit arbeiten müssen, eine völlig neue Dimension verleihen.»
Ich hatte das große Vergnügen, Noras Studentin in einem Kurs über «Warm Data Labs» zu sein. Während dieser Zeit beschäftigten wir uns intensiv mit systemischem Denken, indem wir uns mit der Theorie befassten und in unserer Lerngruppe selber Warm Data Labs (WDL) durchführten.
In einem dieser WDLs war unser Thema «Lernen in einer sich verändernden Welt». Ich saß in einer kleinen Gruppe von KollegInnen, um zu entdecken, was Lernen im Kontext von «Identität» bedeutet. Für ein paar Minuten habe ich der Gruppe gezeigt, dass sich meine Identität mein ganzes Leben lang durch ständiges Lernen und Entwickeln verändert hat – und wie sehr ich es liebe, mich zu verändern. Im Anschluss erwähnte jemand in meiner Gruppe jemanden, der kurz davor steht, seine Identität zu verlieren, weil sein Beruf aufgrund einer verschärften Klimapolitik aussterben wird – ein Minenarbeiter, dessen Familie seit Generationen in Kohlenminen arbeitet. Plötzlich fühlte ich mich zutiefst berührt.
«Plötzlich wurde mir bewusst, dass meine Argumentation von meiner eingeschränkten Denkweise herrührte, die auf sogenannten „Fakten“ beruhte»
Jahrelang hatte ich mich für eine wirksame Klimaschutzpolitik eingesetzt. Stets hatte ich auch argumentiert, dass der Bergbau gestoppt und die Bergarbeiter mit Kompensationszahlungen, Umschulungen usw. entschädigt werden sollten. Ich hatte mich verantwortungs- und sozial bewusst gefühlt, da ich doch die Notwendigkeit erkannt hatte, Klimaschutz gerecht zu gestalten. In diesem Warm Data Lab wurde mir plötzlich bewusst, dass meine Argumentation von meiner eingeschränkten Argumentationsweise herrührte, die auf sogenannten «Fakten» beruhte, auf kalten Daten. Zum ersten Mal fühlte ich – anstatt nur zu bedenken -, dass es für einen Bergmann um seine Identität geht. Ich hatte Warm Data entdeckt – und konnte meine Tränen nicht zurückhalten.
«Es bedeutet, nicht mehr als Vertreter von Interessengruppen und aus unserem eigenen Glaubenssystem heraus mit vermeintlichen Fakten zu argumentieren.»
Damit möchte ich nicht sagen, dass wir mit dem Kohleabbau weitermachen sollten – auf keinen Fall. Was ich sagen möchte ist, dass wir das System nur von innen verändern können, wenn wir in die verschiedenen Kontexte eintauchen, uns mit Menschen und anderen Kontexten von innen verbinden. Es bedeutet, nicht mehr als Vertreter von Interessengruppen und aus unserem eigenen Glaubenssystem heraus mit vermeintlichen Fakten zu argumentieren. Soziale, politische, wirtschaftliche, Bildungs-, Umwelt- und andere Organisationen können die Welt nur zum Besseren verändern, wenn sie die Warm Data, die «Wechselbeziehungen, die Elemente eines komplexen Systems integrieren», berücksichtigen.
«Um eine Verbindung zu einem komplexen System herzustellen, ohne die Schaltkreise der Abhängigkeiten zu unterbrechen, die ihm seine Integrität verleihen, müssen wir die Verteilung der Beziehungen untersuchen, die das System robust machen. Die ausschliessliche Analyse statistischer Daten liefert Schlussfolgerungen, die auf Aktionen hinweisen können, die nicht die volle Komplexität der Situation berücksichtigen. Informationen ohne Interrelationalität führen wahrscheinlich zu falsch informierten Handlungen, wodurch weitere destruktive Muster entstehen.» (2)
Um Organisationen und unsere Welt zum Besseren zu verändern, sollten wir aufhören, Komplexität zu reduzieren und einzelne Teile des Systems zu «reparieren». Wir sollten neue Formen der Information sammeln, in tiefere Dialoge eintauchen und den Raum zwischen den quantitativen Daten zugänglich machen. Es ist nicht alles in unseren Köpfen. Wir müssen mehr über die grundlegende «Vernetzung aller Dinge» (4) lernen.
Quellen & Anmerkungen:
(1) Nora Bateson setzt das bemerkenswerte Erbe ihres Vaters Gregory Bateson fort, eines Pioniers des evolutionären Systemdenkens
(2) International Bateson Institute
(3) ebd.
(4) s. Douglas Adams, Dirk Gently’s Holistic Detective Agency
Die Autorin: